Vor zwei Monaten hat der Kreistag Berchtesgadener Land mit breiter Mehrheit beschlossen, die Umstellung der Jugendhilfe im Landkreis auf personenzentrierte, bedarfsgerechte und sozialraumorientierte Budgets zu überprüfen. Um sich vor Ort über Chancen und Risiken eines solchen Konzepts zu informieren, hat vor kurzem die SPD-Kreistagsfraktion die Stadt Rosenheim besucht, wo dieses Modell seit zwanzig Jahren umgesetzt wird.
Begrüßt wurden die Besucher von Stephan Höfer und Kornelius Greiner vom Jugendamt der Stadt Rosenheim. Der Sprecher der SPD-Kreistagsfraktion Roman Niederberger bedankte sich für die Einladung und machte die Gedanken hinter dem Besuch deutlich: „Selbstverständlich ist uns klar, dass jede Region ihre eigenen Rahmenbedingungen hat und sich eine Stadt wie Rosenheim nicht ohne weiteres mit einem Landkreis vergleichen lässt. Trotzdem sind uns die Informationen über die fachliche Basis und die alltägliche Arbeit mit dem Konzept Sozialraumorientierung für die in den nächsten Monaten anstehenden Entscheidungen wichtig“, führte er aus.
Gleich zu Beginn des Gesprächs warnte der Jugendhilfeplaner der Stadt Rosenheim Stephan Höfer vor unrealistischen Erwartungen: „Die Sozialraumorientierung ist kein Sparmodell und braucht bei ihrer Einführung eine Vorlaufzeit von fünf bis sechs Jahren. Am individuellen Leistungsanspruch im Einzelfall ändert sich nichts“, stellte er dar. Jedoch kämen die notwendigen individuellen bzw. familiären Hilfsangebote nach intensiven zusätzlichen Fortbildungen des Personals im Regelfall aus einer Hand. Dies beschleunige notwendige Hilfsmaßnahmen und stärke die Beziehung zum Kind. In der Praxis habe sich die Einteilung der Stadt Rosenheim in drei Regionen (West, Nord und Ost) und die Übertragung an jeweils einen Träger (Startklar Rosenheim, Diakonie, Caritas gemeinsam mit Kinderschutzbund) gut bewährt. Im Mittelpunkt des Konzepts stehen fünf Prinzipien: 1. Orientierung am Willen der Menschen, 2. Unterstützung von Eigeninitiative und Selbsthilfe, 3. Ressourcen- und Stärkenorientierung 4. zielgruppen- und bereichsübergreifender Blick und 5. Kooperation und Koordination. Durch die pauschale Finanzierung für die Sozialräume und die Bildung größerer Teams sei es möglich, flexibel zu agieren und individuelle Lösungen für individuelle Situationen zu finden.
Auf Nachfrage von Kreisrat Hans Metzenleitner erläuterte der Finanzcontroller Kornelius Greiner die Kostenentwicklung seit 2008. „Zwischen 2008 und 2021 ist der Etat von 3,97 auf 5,47 Millionen Euro gestiegen; allerdings entfällt allein auf die Tarifsteigerungen in dieser Zeit schon ein Anstieg der Personalkosten von 40 Prozent“, erklärte er. Die in anderen Kommunen und Landkreisen massiven Kostensteigerungen konnten in Rosenheim weitgehend vermieden werden. Susanne Aigner fragte konkret wegen der in der Praxis sehr aufwändigen und einschneidenden Heimunterbringung von Kindern nach, die oftmals in weit entfernten Einrichtungen erfolgt. Die Entscheidung für die Heimeinweisung in Gefährdungssituationen wird gemeinsam vom Sozialraumteam getroffen. In Rosenheim wurde Schritt für Schritt ein aus dem Gesamtbudget getragenes, pauschalfinanziertes stationäres Angebot vor Ort aufgebaut, wobei Teil des Konzepts eine verpflichtende Planung zur Rückführung in die Familie ist.
Nach vielen fachlichen und finanziellen Fragen zu Themen wie dem Schulungs- und Fortbildungsbedarf, den weiterhin bestehenden Dokumentationspflichten, Integration und Inklusion bedankte sich Stephan Höfer für das umfassende Interesse am Rosenheimer Modell der Sozialraumorientierung und machte zum Abschluss den Umfang der Veränderung deutlich: „Ein solcher grundlegender Paradigmenwechsel ist nur mit Mut, Teamgeist und der ernsthaften Einbindung aller Beteiligten denkbar. Der Prozess kann nur durch den konstruktiven Umgang mit Fehlern und die Bereitschaft zu Veränderung und zum Dazulernen gelingen“.